Lynn Schäfer
24 Oct
von
Clara
5
Min
Lesezeit

Interview: Wie wichtig ist das Gehalt in Stellenanzeigen?

Insights zu Gehaltsangaben in Stellenanzeigen verrät Lynn Schäfer, People & Culture Expertin bei homee, im Interview.

“Über Geld spricht man nicht” – wer kennt es nicht, das berühmte deutsche Sprichwort? Wie sehr es hierzulande immer noch gelebt wird, spiegelt sich auch in den meisten Stellenanzeigen wider: Laut einer Auswertung von index Marktforschung hatten im August 2020 nur 11,6% von fast 800.000 Stellenanzeigen aus 248 Jobbörsen, 196 Printmedien und der Bundesagentur für Arbeit überhaupt eine Angaben zur monetären Entlohnung¹ – während die Gehaltsangabe in anderen europäischen Ländern wie Großbritannien oder Frankreich längst gang und gäbe ist.² Was die Gehaltsangabe mit Fairness und Transparenz zu tun hat, warum die Deutschen immer noch nicht gerne über Geld sprechen, was sich Jobsuchende tatsächlich in Punkto Gehaltstransparenz wünschen und welche ersten Schritte Unternehmen in Richtung Transparenz machen können, hat uns Lynn Schäfer, People & Culture Expertin bei homee, im Interview verraten. Freut euch auf spannende Insights und jede Menge Inspiration für euer Unternehmen – viel Spaß beim Lesen!

talentsconnect:

Hi Lynn, fangen wir mal ganz direkt an. Wie wichtig ist es denn am Ende wirklich, das Gehalt oder zumindest eine Gehaltsspanne in Stellenanzeigen mit anzugeben? 

Lynn Schäfer:

Das Thema Gehalt in Stellenanzeigen ist wirklich spannend – und letztendlich steckt viel mehr dahinter als nur eine Zahl. Darauf kommen wir aber gleich noch zu sprechen. Studien und Befragungen zeigen immer wieder, dass die Angabe eines Gehaltes oder eben einer Range für viele Jobsuchende enorm wichtig ist. Schließlich ist das Gehalt immer noch das Top-Kriterium, wenn es um Arbeitgeberattraktivität und die Entscheidung für einen neuen Job geht: In einer Stepstone-Studie aus dem Jahr 2020 lagen “Gehalt und finanzielle Leistungen” mit 96% ganz oben – und 64% der Befragten stufen das Gehalt sogar als “sehr wichtig” ein.³

Und was die Angabe von Gehältern in Stellenanzeigen angeht, dazu gibt es auch Zahlen: In einer Umfrage von adzuna aus 2019 gaben zum Beispiel 74% der Befragten an, dass sie eine Gehaltsangabe sinnvoll finden und 60%, dass sie sich auf denselben Job eher bewerben würden, wenn er Gehaltsangaben enthält als ohne.²

Softgarden hat 2020 in einer weiteren Befragung von 4.145 Teilnehmer:innen herausgefunden, dass 50,6% der Bewerber:innen eine allgemeine Offenlegung von Gehältern innerhalb von  Unternehmen befürworten.⁴

talentsconnect:

Ok, man sieht also, es wird durchaus gewünscht, schon in der Stellenanzeige etwas zum Gehalt zu lesen. Hat es denn auch einen Effekt für Unternehmen, wenn man dann Angaben zum Gehalt macht?

Lynn Schäfer:

Also aus meinen eigenen Erfahrungen kann ich sagen, dass es durchaus einen positiven Effekt haben kann. Wenn ich Unternehmen berate, die Probleme haben, Personal zu finden, dann schau ich mir natürlich immer im ersten Schritt an, wie das Unternehmen aktuell aufgestellt ist. Ich mache einen Social Media Check und gucke mir natürlich auch die aktuellen Stellenanzeigen an und suche nach Stellschrauben. Einem Unternehmen habe ich tatsächlich mal einen talentsconnect-Case vorgestellt – nämlich wie ihr Sales Development Representatives ansprecht – in dem auch eine Range für das Einstiegsgehalt angegeben ist. Mein Kunde fand das spannend und in einer neuen Stellenanzeige haben wir es direkt ausprobiert und ebenfalls eine Range angegeben. Und tatsächlich gab es mehr Bewerbungen als sonst. Leider hat der Kunde kein Tracking aufgesetzt, sodass wir nicht sehen können, wie die Bewerber:innen sich tatsächlich bewegt haben, aber da das Gehalt wirklich das einzige war, was anders war als sonst, können wir davon ausgehen, dass die Anzahl der Bewerbungen auch etwas damit zu tun hatte.

talentsconnect:

Jetzt könnte man ja vermuten, dass so eine auf den ersten Blick “einfache Stellschraube” jedes Unternehmen dann direkt mal ausprobieren könnte. Wie viele Unternehmen machen das denn bereits? Und warum machen es nicht längst alle?

Lynn Schäfer:

Ja, das sollte man meinen. Ganz so einfach ist die Stellschraube dann aber leider doch nicht. Aktuell sind nur – oder schon, je nachdem aus welchem Blickwinkel man das betrachten möchte – in rund 11,6% aller Stellenanzeigen überhaupt Angaben zu Vergütungen zu finden. Und bei vielen davon handelt es sich auch hauptsächlich um Stundenlöhne für Azubis oder Werkstudent:innen, Tariflöhne, Mindestlöhne etc. Obwohl man ja erstmal denken könnte, dass Tarife und Gewerkschaften für generell mehr Transparenz sorgen würde, gilt das halt längst noch nicht für alle Bereiche der Wirtschaft.

In anderen europäischen Ländern hingegen ist es komplett normal, Gehälter transparent zu kommunizieren, in Großbritannien oder Frankreich zum Beispiel. Es scheint also auch ein bisschen ein deutsches kulturelles Phänomen zu sein, so frei nach dem Motto “über Geld spricht man nicht”. In vielen Arbeitsverträgen steht ja auch tatsächlich noch eine Klausel, dass über das Gehalt Stillschweigen gewahrt werden soll – obwohl das eigentlich gar nicht wirklich rechtens ist. Es gibt sogar seit 2017 das Entgelttransparenzgesetz, das gleiches Gehalt für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit durchsetzen soll. In Betrieben ab 200 Mitarbeiter:innen kann man dann das Gehalt des anderen Geschlechts erfragen, um so Gender Pay Gaps zu verhindern oder abzubauen. Ansonsten wird das Thema in Deutschland einfach nach wie vor zu großen Teilen sehr verschwiegen behandelt – warum auch immer! Obwohl ich langsam das Gefühl habe, dass sich ein bisschen was ändert…

talentsconnect:

Was glaubst du, welche Konsequenzen haben Gehaltsangaben denn für Unternehmen? Oder anders gefragt: Was müssen Unternehmen tun, damit sie sich sowohl bei der Akquise neuer Talente, als auch bei bestehenden Mitarbeiter:innen transparent und fair aufstellen können?

Lynn Schäfer:

Wie gesagt, ganz einfach ist es eben nicht. Gehälter transparent(er) zu machen, hat natürlich Konsequenzen. Es gibt ein paar spannende Beispiele von Unternehmen, die man sich dazu angucken kann. 

In den USA gibt es das Unternehmen Buffer, das Transparenz als wichtigsten Unternehmenswert angibt. Sie sagen “Transparenz schafft Vertrauen und Vertrauen ist die Grundlage für gute Zusammenarbeit” – und das ziehen sie wirklich knallhart durch. Vom Trainee bis zum CEO weiß jeder, was der andere verdient und wie das Gehalt zustande gekommen ist. Und nicht nur intern, man kann es auch auf der Buffer-Webseite nachlesen

Und auch in Deutschland gibt es Unternehmen, die transparent mit ihren Gehaltsformeln arbeiten. Sipgate zum Beispiel führte 2016 das “Lean Salary Framework” ein und seitdem entwickeln sie es ständig weiter. Sehr spannend, kann ich nur jedem empfehlen, sich das einmal anzuschauen. 

Ein anderes spannendes Beispiel war auch das Experiment der Hamburger Agentur Elbdudler, die das “Einheitsgehalt” ausprobiert haben, sprich: Gleiches Gehalt für alle und dann konnten die Mitarbeitenden pitchen, warum sie eine Gehaltserhöhung verdienen und wenn ja, wieviel.

talentsconnect:

Gleich heißt ja nicht gleich “gerecht”…

Lynn Schäfer:

Nein, eben. Letztendlich hat das glaube ich auch bei den Elbdudlern nur mit Einschränkungen funktioniert und das System wurde weiterentwickelt. 

Für die meisten Menschen ist es auch gar kein großes Problem, wenn sie herausfinden, dass jemand in einer ähnlichen Rolle doch mehr verdient – solange sie nachvollziehen können, warum. Mit einer transparenten Formel, die Erfahrung, Betriebszugehörigkeit oder Standort mit einbezieht, ist das kein Problem mehr und das System sorgt insgesamt für mehr Fairness. Aber wie viele Unternehmen schreiben sich Werte wie “Transparenz und Fairness” auf die Fahne und setzen es dann aber doch nur bis zu einem gewissen Punkt um? Das ist es glaube ich auch, worum es wirklich beim Thema transparente Gehälter geht: Faire Behandlung und Wertschätzung.

talentsconnect:

Absolut. Und für Unternehmen kann es ja auch Konsequenzen haben, eben nicht transparent zu kommunizieren…

Lynn Schäfer:

Auf jeden Fall. Denn auch wenn das Gehalt ein entscheidender Faktor für einen neuen Job ist – es ist nicht der alleinige Grund, in einem Unternehmen zu bleiben. Und trotzdem kann das Gehalt im Job auch demotivieren. Viele Unternehmen erhöhen Gehälter in Jahresgesprächen etc. um 2-3%. Wenn man die Firma wechselt, hat man hingegen die Chance auf einen Gehaltssprung von 10-20%. Würden Unternehmen die Kosten für Fluktuation mit einberechnen, könnten sie ihren Mitarbeitenden auch gleich die größere Gehaltssprünge gewähren.

talentsconnect:

Kommen wir nochmal zum Thema Stellenanzeigen. Abgesehen von Angaben zum Gehalt – worauf können Unternehmen in Punkto Transparenz und Fairness noch achten?

Lynn Schäfer:

Wie gesagt: 60% der Jobsuchenden würden sich eher auf eine Stelle mit Gehaltsangaben bewerben als auf die gleiche Anzeige ohne Angabe. Wenn so eine Offenlegung, und sei es auch nur eine Range, die immer auch interne Konsequenzen mit sich zieht, noch nicht möglich ist, dann sollten Unternehmen zumindest vermitteln, dass sie ihre Mitarbeitenden wertschätzen und fair vergüten. Ein absolutes Negativbeispiel ist mir neulich untergekommen: Eine Online-Stellenanzeige hatte einen langen Katalog an Aufgaben und Anforderungen an die Kandidat:innen – soweit, so gut – und dann gab es aber nur einen einzigen Satz zu “Was wir bieten”. Und das war dann auch noch ein sehr nichtssagender Satz wie “wir bieten ein attraktives Arbeitsumfeld” oder so. Weiter nichts. Wenn die Anforderungen und das Angebot bereits visuell so extrem unausgewogen sind, dann kann man als Bewerber:in doch gar nicht erst das Gefühl bekommen, dass es sich um ein faires Verhältnis auf Augenhöhe handelt! 

talentsconnect:

Stimmt, es sollte bereits visuell ausgeglichen sein, das können wir auch genau so bestätigen. Und klar, ein transparentes Gehalt steht natürlich für allgemeine Transparenz im Unternehmen. Was würdest du Unternehmen denn als konkreten ersten Schritt empfehlen? Wo und wie kann jeder anfangen? 

Lynn Schäfer:

Ganz klar: Eine Umstellung von Null auf Hundert kann komplett nach hinten losgehen. Erste Schritte hingegen kann ich nur empfehlen:

Gehaltsbänder, Ranges oder auch Stundenlöhne für studentische Aushilfskräfte etc. – das lässt sich relativ einfach und schnell umsetzen.

Dann empfehle ich immer, sich jede Menge Inspiration zu holen. Wie machen andere Unternehmen ihre Gehälter transparenter, ohne sie komplett offenzulegen? Was gehört noch alles dazu? Wie entwickeln Unternehmen ihre Gehaltsmodelle und kann dafür auch etwas im eigenen Unternehmen funktionieren? Kommunizieren wir lieber Formeln statt Zahlen bis auf die letzte Nachkommastelle? Es gibt wirklich viele Faktoren, über die man sprechen kann und die den zukünftigen und aktuellen Mitarbeitenden einen großen Mehrwert bieten.

Und natürlich sollte das Ganze kein kurzfristiges Projekt sein, mit dem man schnell ein Problem löst, sondern es sollte langfristig und ongoing gedacht werden. Was will das Unternehmen eigentlich damit erreichen? Moderner werden? Unternehmens-Kultur umsetzen? 

+ Nicht einfach schnell übers Knie brechen und zuerst die eigenen Ziele hinterfrageen
+Inspiration sammeln und schauen, wie andere Unternehmen es umsetzen
+ Berechnung und Formeln zeigen statt tatsächliche Gehälter
+ Als “ongoing” Projekt betrachten, das sich immer weiter entwickelt

talentsconnect:

Danke für diese Starter-Tipps! Was würdest du den Unternehmen da draußen zum Abschluss noch mit auf den Weg geben?

Lynn Schäfer:

Ich kann Unternehmen nur raten, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Mehr Transparenz rund um die Gehälter kann sowohl intern als auch extern ein absoluter Booster sein! Von außen wird – wie die verschiedenen Studien zeigen – mehr Transparenz gefordert, und auch intern kann das Ganze einen echten Mehrwert bedeuten. Es trägt nicht nur zu mehr Fairness bei, sondern fördert auch das Gefühl der Wertschätzung, wenn man sich als Mitarbeiter:in bei der eigenen Gehaltsgestaltung einbringen kann und echte Anhaltspunkte hat, ob man die eigene Entlohnung als gerecht und wertschätzend empfindet. Letztendlich ist die reine finanzielle Vergütung ein Hygienefaktor. Man entscheidet sich zwar aufgrund eines Gehalts für ein Unternehmen, bleibt aber nicht unbedingt deswegen. Daher sollten Unternehmen auch nicht “nur” kurzfristig und schnell Angaben zu Gehältern machen, sondern das Thema wirklich ganzheitlich betrachten.

talentsconnect:

Lynn, vielen Dank für das Gespräch!

Quellen:

¹ Gehaltsangaben in Stellenanzeigen: Status quo und Pro & Contra, 10.11.2020, personalmarketing2null.de

² Umfrage: Deutsche wünschen sich Gehaltstransparenz in Stellenanzeigen, 11.01.2019, Adzuna

³ Stepstone Report: Arbeitgeber-Attraktivität, 03.2020

Umfrage - Mehr Transparenz wagen: Gehalt im Bewerbungsprozess, 2019, softgarden

Mehr Inspiration:

New Pay Collective

Auf Augenhöhe – der Film (mehr über die Elbdudler-Story) 

Sipgate – so zahlen wir

Transparenz bei Buffer (englisch) 

Lynn Schäfer im Direct 2 Talent Podcast

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